Judenversteck,
mutige Eltern!

Es war im Sommer 43, als wir nach einem Bombenangriff unsere Wohnung in Köln-Braunsfeld , Eupenerstr. 62 verlassen mussten. Vor dem Haus lag mal wieder ein Blindgänger. Wir zogen daraufhin für einige Tage in die Wohnung eines Freundes meines Vaters, Familie Fritz Stein. Sie wohnten 10 Minuten entfernt in der Aachenerstr..

Im dortigen Luftschutzkeller lernten wir die Familie Hauer kennen, die im gleichen Haus wohnten. Wenn man sich gelegentlich auf der Strasse oder im Luftschutzbunker traf, grüßte man sich und wechselte belanglose Worte. Gesellschaftlich hatten wir keinen Kontakt zu Hauers.

Herr Hauer, der in Berlin beschäftigt war, besuchte Anfang September 44 seine Familie in Köln. Dort fand er einen Brief mit der Aufforderung vor, sich innerhalb von 2 Tagen mit Frau und Tochter auf der Behörde einzufinden.

Herr Hauer, der wusste, dass mein Vater im Fleisch- und Fettkonzern in der Linnischen Strasse beschäftigt und wegen eines Magenleidens vom Wehrdienst freigestellt war, suchte ihn umgehend in der Firma auf. Er erzählte meinem Vater von der behördlichen Aufforderung und davon, dass seine Frau Jüdin, bzw. seine Tochter Halbjüdin sei. Er fragte meinen Vater, ob er sich auf dem Amt einfinden soll, oder ob mein Vater einen anderen Ausweg wüsste.

Zu diesem Zeitpunkt konnte man in Braunsfeld bereits den Kanonendonner hören, der aus Richtung Düren kam. Dort standen bereits die Engländer und mein Vater schätzte, dass es nur noch 2 Wochen dauern würde, bis Köln eingenommen sei.

Mein Vater rief sofort meine Mutter zu Hause an und sagte, dass er mit ihr und Herrn Hauer umgehend etwas zu besprechen hätte. Da alle drei davon ausgingen, dass der Krieg in Köln nur noch wenige Tage dauern würde, verabredeten sie, dass Familie Hauer heimlich bei uns wohnen sollte.

Noch am gleichen Tag, nach Anbruch der Dunkelheit, kam Familie Hauer zu uns. Aus Angst vor Entdeckung durch die Gestapo musste der Besuch vor den übrigen fünf Hausparteien geheim gehalten werden. Aus diesem Grund wollten Hauers auch nicht in den hauseigenen Luftschutzkeller gehen. Zu diesem Zeitpunkt gab es jede Nacht Fliegeralarm.

Hauers wohnten im Schlafraum meiner Eltern ohne Betten. Die Möbel, Schlaf- Wohn- und Esszimmer, sowie den guten Bechsteinflügel hatten meine Eltern im Bergischen Land untergestellt. Unsere Gäste mussten auf dem Fußboden schlafen. Nach einigen Tagen sprach die Nachbarin, Frau Grote, meine Mutter an, ob wir Besuch hätten und bot ein Gästebett an, das heimlich ins Schlafzimmer gestellt wurde. Ob andere Hausbewohner etwas gemerkt hatten, wissen wir nicht.

Meine Eltern lebten in ständiger Angst vor Entdeckung. Auf das Verstecken von Juden stand für alle die Einweisung ins Konzentrationslager. Ich erinnere mich noch genau, dass Hauers jedesmal in den Kleiderschrank oder auf den zum Garten gelegenen Balkon gesperrt wurden, wenn es an der Tür klingelte. Auf die Toilette gingen alle nacheinander. Erst dann wurde gespült. Nur nachts, wenn kein Alarm war, trauten sich Hauers zu einem Spaziergang vor die Tür.

Als nach drei Wochen feststand, dass die Engländer nicht weiter vorgerückt waren und Herr Hauer wieder nach Berlin zur Arbeitsstelle musste, suchte er den katholischen Pfarrer in der Eupener Strasse auf und bat um Hilfe.

Dieser Pfarrer kannte ein Versteck im Bergischen Land. Für den nächsten Abend wurde ein Treffen im Kölner Stadtwald, Nähe Vincens-Statstr. , vereinbart. Nach Einbruch der Dunkelheit nahm mich – ich war damals 7 Jahre alt – Herr Hauer aus Gründen der Tarnung mit. Wir zwei gingen voraus. Seine Frau und die Tochter folgten mit einem ganz kleinen Koffer. Ich erinnere, dass in einiger Entfernung ein vereinbartes Taschenlampensignal aufleuchtete. Herr Hauer und ich blieben stehen, Frau und Tochter gingen weiter. Es war so dunkel, dass wir keine andere Person erkennen konnten. Wären wir gefasst worden, wir hätten niemanden beschreiben können. Herr Hauer fuhr nach Berlin zurück und speziell meine Mutter war sehr erleichtert.

Im Mai, nach Kriegsende, bekamen wir ein Schreiben von Herrn Hauer, in dem er mitteilte, dass seine Frau und die Tochter das Kriegsende im Bergischen Land heil überstanden hätten, dass die Familie wieder zusammen sei und sie uns danken.

Nach Jahren erfuhren wir von Herrn Stein, dass Familie Hauer nach Düsseldorf gezogen sei und dass Frau Hauer 1947 an Krebs gestorben sei. Was wohl aus Herrn Hauer bzw. seiner Tochter geworden ist?

Meine Eltern waren keine Helden. Für damalige Zeiten aber sehr mutig. Dafür danke ich ihnen. Nicht alle waren Nazis! Aber viele haben weggesehen und getan, als wüssten sie von nichts!  (Und ich bin ein alter  Zeitzeuge !)

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